Fragen zu Architektur der Unendlichkeit
Fragen an Christoph Schaub
Du hast bereits einige Filme über Architektur realisiert. Was fasziniert Dich an Architektur?
Architektur ist viel bestimmender für unser Dasein, als dies allgemein wahrgenommen wird. Wir nehmen in der Regel Räume und Bauten sehr unbewusst wahr. So fasziniert mich die emotionale Wirkung von Architektur, die meistens unbewusst wirkt, aber sehr bewusst eingesetzt werden kann. Ich habe gelernt, Architektur ist eigentlich immer da, sie umhüllt einen immer wieder anders und wenn man sie intensiv betrachtet, spricht sie – in unterschiedlicher Absicht, mit verschiedener Wirkung.
Wenn man so Architektur begegnet ist sie faszinierend - auch und vor allem für Filme.
Was war Dein Verständnis von Architektur bei Deinem neuen Film?
Ich versuche darin den Begriff der Architektur weit zu fassen. Architektur im Sinne der räumlichen Erfahrung universeller zu verstehen. Ich gehe im Film von Räumen mit sakraler Wirkung aus. Von Räumen, die Erhabenheit, Überwältigung oder Schutz auslösen wollen. Diese Wirkung kann sich auch in einem profanen Gebäude einstellen, auch in der Natur oder in der Kunst. Architektur thematisiert auch das Thema der Unendlichkeit in einem sehr basalen Sinn, denn ein Gebäude schneidet ja einen Teil aus dem Unendlichen heraus. Architektur kann für das Endliche im Unendlichen stehen. Kirchen thematisieren das Jenseits, als Gegenentwurf zum endlichen Leben auf der Erde. Heutzutage suchen wir Menschen in der Natur und in der Kunst eine ähnliche, (nicht religiöse) Erfahrung – eine Erfahrung der Entrückung, vielleicht der Spiritualität.
Wie ist die Idee zu diesem Film entstanden?
Ich war schon immer fasziniert von Kirchen, von der äusseren Form, vom Raum selber. Eigentlich wusste ich gar nicht warum, denn ich bin Agnostiker und gegen die Institution der christlichen Kirche. Am Anfang meiner Entwicklungsarbeit ging es mir viel mehr um die eigentliche Architektur, resp. um die Geschichte der Kirchen. Doch immer mehr interessierte mich das emotionale, philosophische Verständnis dieser Räume und nicht die Kunst des Entwerfens und Bauens. So verstand ich meine Ambivalenz diesen Bauten gegenüber immer besser. Ich verstand, dass ich besser von der Wirkung dieser Räume reden soll. Dieser Ansatz rückte sich dann fast automatisch ins Zentrum meiner Betrachtung.
Was unterscheidet ARCHITEKTUR DER UNENDLICHKEIT von deinen andern Filmen über Architektur?
Mit jedem meiner vergangenen Architekturfilme habe ich ein anderer Zugang gewählt: Ein Bauwerk, einen Architekten, eine Stadt, kontextuelles Bauen etc. – das waren die Themen. Hier interessierte mich die emotionale Wirkung von Räumen. Den Begriff des Raumes wollte ich aber breiter fassen als den Raum im architektonischen Sinn. Ausgegangen bin ich von sakralen Bauten, weil sie eine starke emotionale Wirkung haben – haben müssen auf Grund ihrer Funktion, Bedeutung und der beabsichtigten philosophischen-religiösen Wirkung.
Dieser Film ist dein persönlichster Dokumentarfilm... ?
Ja, es ist mein ‚persönlichster’ Film im Sinne, dass die Erzählung von meinen Interessen, meinen Erfahrungen und Gefühlen bestimmt wird. Es war mir jedoch wichtig, dass der Film gleichzeitig Erfahrungen und Gefühle vieler Menschen reflektiert. Der Zugang soll universell sein und auf keinen Fall unpersönlich. Die Ebene der ‚Ich’-Erzählung half mir, dieses Gleichgewicht herzustellen.
Nach welchen Kriterien hast du die Protagonisten und Bauwerke gewählt?
Es waren zwei Dinge wichtig. Einerseits mussten die Protagonisten und Bauwerke in Bezug auf mein Erzählinteresse inspirierend wirken. Anderseits mussten sie zueinander passen. Ich habe mir immer vorgestellt, würden sich die Protagonisten bei gutem Wein und Essen treffen, dann müssten sie sich prächtig unterhalten, sich mögen und sich respektieren – kurz: Sie könnten einen inspirierenden Abend miteinander verbringen.
Was waren deine grössten künstlerischen Herausforderungen bei diesem Film?
Ich glaube, die verschiedenen Ebenen des Films in ein interessantes Verhältnis zu stellen. Auf der Bildebene die Erzählung der Architektur und Landschaften, die naturgegeben eher statisch und man könnet sagen objektiv ist und die ‚inneren’ Bilder, die bewegter und natürlich subjektiver sind. Auf der Tonebene war das Zusammenspiel vom Sounddesign und Jojo Mayer’s Musik herausfordernd. Schliesslich eine Off-Erzählung zu finden, die persönlich ist und gleichzeitig auch an gewissen Stellen informativ. Wir haben immer gesagt, die Off-Erzählung muss bei der Zuschauerin etwas ‚triggern’ – ein Interesse, eine Emotion oder eine Erinnerung. Ich könnte die Frage auch so beantworten, dem Bildkünstler Ramon Giger, der Schnittkünstlerin Marina Wernli und dem Musikkünstler Jojo Mayer ein produktives Vis-à-vis und‚ Inspirator’ zu sein.
Wie bist du im Schnitt vorgegangen, bzw. wie haben du und deine Cutterin Marina Wernli die Struktur des Filmes gefunden?
Die Cutterin Marina Wernli und ich haben einen langen Schnittprozess in einer engen Zusammenarbeit durchgemacht. Auch wenn in der Drehvorlage die wichtigen Elemente beschrieben waren, wollten oder mussten wir die tatsächliche Erzählung neu erfinden. Die Montage bedient sich eines assoziativen Prinzips und stellt so auch philosophische Fragen. Das ist schwierig. Es braucht Zeit, d.h. viele Diskussionen und ein vielfältiges Ausprobieren ist notwendig bis die‚ Wahrheit’ gefunden ist. Es ist eine ‚Wahrheit’, die nicht nach Objektivität sucht, sondern subjektiv sein soll. Aber sie muss auch von Dritten, von Uneingeweihten verstanden und akzeptiert werden.
Was hast Du selbst erlebt und erfahren beim Machen dieses Films? Hat dich das Machen dieses Filmes verändert?
Verändert ist etwas zu viel gesagt! Doch habe ich viel gelernt und viele Dinge, auch in meiner Person, über diese Auseinandersetzung neu gesehen und verstanden. Während der Arbeit hat sich viel bezüglich der Thematik verändert, d.h. mein Interesse daran hat sich verändert. Ich habe entdeckt, dass ich nicht nur einen Film über sakrale Architektur mache, sondern auch, dass ich aus meinem Leben erzählen muss. Dadurch habe ich gemerkt, dass die eigentliche sakrale Architektur immer weniger im Mittelpunkt meines Interesses stand. So sprechen jetzt die Protagonisten kaum über ihre Architektur, sondern viel intensiver anhand der Architektur über philosophische Fragen, die für unsere Existenz essentiell sind. Im Laufe der Arbeit habe ich auch gemerkt, dass ich den Begriff des Raumes ausweiten will. Ich kann genauso über den Raum im Innern des Menschen nachdenken. Dann kann man ein Bild für eine Architektur der Unendlichkeit finden. Der innere Raum kann als unendlich betrachtet werden – jedenfalls hat der innere Raum keine sichtbaren Grenzen, keinen Anfang und kein Ende – auch keinen Mittelpunkt. Hingegen in der realen, materiellen Welt kann man sich in einem konkreten Sinn keine „Architektur der Unendlichkeit“ vorstellen. Grundsätzlich kann ich sagen: Diese Filmarbeit ist für mich sehr bereichernd, da ich am Ende der Arbeit an einem anderen Ort stehe als am Anfang. Ich konnte einen Teil von mir selber entdecken, den ich so nicht gekannt habe.